Ich greif zum Stift
Autor: Amelie Rick | 29.04.2020
Es ist schon erstaunlich, wie schnell man in diesen Tagen merkt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das Nähe und Liebe fast so dringend braucht wie die Luft zum Atmen. All die sonst so selbstverständlichen Umarmungen, das Händeschütteln oder eine einfache, flüchtige Berührung in Form einer Hand auf einer Schulter oder ähnlichem gehören seit einigen Wochen nicht mehr zu unserem Alltag dazu. Auch persönliche Gespräche mit unseren Lieben finden heute eher am Telefon, am Laptop oder bei einem Spaziergang auf Abstand statt. Doch reicht diese Art der Kommunikation bei weitem nicht an die Nähe heran, die wir Menschen vorher zueinander hatten. Und jedem von uns geht es damit anders…
Viele von uns fühlen sich von diesen Umständen mehr als nur herausgefordert. Deswegen ist es besonders wichtig, Wege zu finden, die uns das Gefühl geben, dieser Situation nicht machtlos ausgeliefert zu sein. Wir haben es buchstäblich selbst in der Hand, was wir daraus machen. Denn es zeichnet sich gerade eine neue Bewegung in unserem Land ab: Hilfsorganisationen, Kirchen und auch private Gruppen setzen sich gerade dafür ein, einsamen Menschen Briefe zu schreiben. Weil das eine ganz besondere Art der Nähe schafft. Häufig kommen Antworten zurück und es entstehen kleine Brieffreundschaften. Es geht aber noch weiter: Kindergarten- und Schulkinder schicken ihren Freunden kleine Liebesbotschaften und freuen sich wie wild, wenn sie Antworten erhalten. Enkelkinder schreiben ihren Großeltern Briefe, berichten aus ihrem Leben und machen ihren Empfängern damit die größte Freude überhaupt. Freunde, die sich gerade nicht sehen können, singen bzw. schreiben Loblieder aufeinander, um sich gegenseitig zu zeigen, wie wertvoll sie einander sind. Ist das nicht eine hoffnungsvolle Entwicklung?
Zwar ersetzen Briefe keine Umarmung und erweitern auch nicht unseren Bewegungsradius, doch erfreuen sie unser Herz auf eine ganz besondere Art und Weise. Sogar mehr, als wenn wir uns Nachrichten per Mail oder Handy hin-und hersenden. Denn Briefe tragen die Persönlichkeit des Schreibenden in sich und sind für ihre Empfänger greifbar, über die Grenzen unseres aktuellen Alltags hinaus. Automatisch fühlen wir uns einander nah. Ist das nicht Grund genug, einmal selbst zum Stift zu greifen? Ein wunderbarer Glücksmoment ist nur einen Stift, einen Zettel, einen Briefumschlag und eine 80Cent-Briefmarke weit entfernt…