Was Begegnung möglich macht
Autor: Amelie Rick | 12.03.2024
Begegnung ist ein Geschenk Gottes an uns. Schon von Beginn der Menschheitsgeschichte an spielte sie eine elementare Rolle. Denn wir wären heute keine Menschen, wenn die ersten Menschen auf Erden nicht anderen begegnet wären. Über diesen Satz muss man erst einmal nachdenken, nicht wahr? Der biblische Adam war von Anfang an auf der Suche nach einem Gegenüber. Er suchte es unter den Lebewesen, die ihn umgaben. Unter den Tieren, denen er im Laufe seiner langen Suche Namen gab. Doch er fand sein Gegenüber erst, als Gott ihm Eva zur Seite stellte. Adams Reaktion auf ihren Anblick gleicht einem begeisterten Ausruf: „Da ist sie! Endlich jemand, der mir gleicht und zu mir passt.“ (1. Mose 2; 23, NGÜ) Adams Suche hatte somit ein Ende und die Menschheit nahm dadurch ihren Anfang…
Sicher ging es Adam nicht zu jeder Zeit so, dass er so begeistert von seiner Frau war wie bei diesem ersten Moment des Kennenlernens. Genau so dürfte es wohl jedem Menschen gehen, der sich auf einen anderen einlässt: Einerseits brauchen wir den anderen und schätzen so vieles an ihm. Gleichzeitig sind die uns nahestehenden Bezugspersonen wohl auch diejenigen, die uns am schärfsten kritisieren oder mit denen wir uns am besten streiten können. Und das ist gut so! Denn jeder Mensch sieht die Welt durch seine eigenen Brille, die gefärbt ist von der eigenen Vergangenheit und den daraus resultierenden Glaubenssätzen. Das gibt uns die nötige Sicherheit und baut unser Wertesystem, das wir brauchen, um jemand zu werden, um jemand zu sein und als dieser Jemand unseren Platz in der Welt zu finden. Doch ab und zu ist es von Nöten, den eigenen Kompass des Lebens mal wieder neu auszuloten. Und das geht am besten durch Begegnung.
Denn wenn ich jemand anderem begegne, lerne ich neue Lebensperspektiven, Charakterzüge, Erfahrungen und Lebensweisen kennen, die mir helfen können, meinen eigenen Blick auf die Dinge neu zu schärfen. Unsere Resonanz auf unser Gegenüber lässt die Reflexionsfähigkeit in uns auf wunderbar dynamische Art und Weise wachsen. Denn durch die Begegnung mit dem Du gerät meine eigene kleine Innenwelt in Bewegung und justiert sich ganz natürlich nach. Wer kennt sie nicht, diese typischen Reaktionen auf unsere Mitmenschen: „Aha, so kann man die Dinge auch sehen. Erfrischend!“. „So wie Du das machst, da kann ich so gar nicht mitgehen. Ich merke, dass ich eigentlich auf einem ganz guten Weg bin.“ „Diese Frage habe ich mir ja noch nie gestellt.“ „Wenn der das kann, kann ich das auch!“ „Oh, so wollte ich gar nicht rüberkommen.“ „Danke für die Schublade, in die Du mich gerade gesteckt hast. Ich klettere mal schnell wieder raus.“ Ach, es gibt so unendlich viele Resonanzen in uns, wenn wir auf andere treffen. Doch egal wie unterschiedlich wir auch auf unser Gegenüber reagieren, fest steht: Begegnung kann ein innerer Wachstumskatalysator sein. Eine Art Gewächshaus für unser Werte-, Lebens- und Lösungskompetenzsystem, das sich durch die Dynamik der Konfrontation, der Kontraste, der Gemeinschaft, der Übereinstimmung, der Brüche, der Treue, der Fragen und ihren facettenreichen Antworten immer wieder neu ausrichtet und so an Weisheit und Reife zunimmt. Auch wenn Begegnung nicht immer harmonisch ist, so ist sie doch ein guter Lehrer, der uns zeigt: Anders zu denken, ist nicht gleich schlecht. Nur anders. Und das ist Herausforderung und dadurch Geschenk zugleich.
Fest steht also, dass Begegnung von jeher in uns angelegt ist und uns gut tut. Ganz egal, ob wir eher der introvertierte oder extrovertierte Typ sind. Eine gewisse Dosis Begegnung ist für uns lebensnotwendig. Darin dürften wir wohl alle übereinstimmen.
Doch je tiefer eine Begegnung geht, desto mehr kostet sie auch einen Preis. Den Preis der Ehrlichkeit und der Verletzlichkeit. Den Preis der Kraft, sich auf andere Sichtweisen einzulassen. Den Preis des Eingestehens der eigenen Fehlerhaftigkeit und des gesundes Stolzes auf die eigenen Stärken. Kurz: den Preis des Vertrauens. Deswegen arbeitet unser Inneres oft mit den berühmten Schubladen, in die wir uns alle fein säuberlich und tagtäglich gegenseitig sortieren. Eigentlich sind diese Schubladen gar nicht so böse. Sie sind oft einfach nur eine gesunde Vorsicht, die sich dadurch abbauen kann, wenn wir einander näher kennenlernen. Und wenn wir dann merken, dass in der Schublade jemand steckt, dem wir wirklich vertrauen können, dann entlassen wir diese Person doch gerne aus seinem Stereotyp und lassen sie so sein, wie sie ist. Und wenn es dem anderen mit uns genau so geht, sprechen wir dann wohl von einer der schönsten Begegnungen, die man sich nur wünschen kann. Und diese sind selten.
So wünschen wir uns allen zu diesem Osterfest, das uns gleichzeitig mit dem Frühlingserwachen aus unserem Winterschlaf heraus in die Gärten, in die Cafés und raus auf Spaziergänge lockt, wunderbare und bereichernde Begegnungen. Begegnungen, die den eigenen Blick und somit das eigene Herz weiten. Und damit in den ursprünglichen Sinn des Osterfestes einstimmen, an dem Gott als Mensch bereit war, sein eigenes Leben für das eines anderen zu geben. Um die Grenze von Tod und Leben zu überwinden und so für immer im Herzen der Menschen Platz nehmen zu können. Dem Ort der innigsten Begegnung.