Wenn sich der Weg nicht Zeigt 

Autor: Amelie Rick | 12.07.2023

Wieder einmal fährt dieser komische Mann mit ihm und den anderen Jungs auf den See hinaus. Auch heute hat er wieder schlecht geschlafen, aus Angst vor dem nächsten Tag. Kraftlos, erschöpft und ohne Aussicht auf einen Ausweg beugt er sich dem Willen seines Herren. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Und genau jetzt auf diesem Boot. Gestern wäre sein bester Freund beim Loslösen der Fischernetze tief unten im Wasser fast ertrunken. Heute sitzen sie zusammen erneut in diesem Boot und hoffen, dass so etwas Schlimmes heute nicht passieren möge. Wer weiß? Vielleicht wäre der Tod tatsächlich gar nicht das Schlimmste, was passieren könnte. Vielleicht wäre er ja eine Erlösung von diesen Qualen namens Leben? Weiter kann er nicht denken. Grob wird er von der Seite mit einem Stock angestoßen. Das Kopfnicken seines Herren kennt er bereits. Sie geht los: die Arbeit eines jungen Sklaven irgendwo in Ghana auf einem See… Doch was ist das? Wer kommt ihnen da mit einem Motorboot und in Schwimmwesten gekleidet entgegen? Er schaut ein zweites Mal hin, traut er doch seinen Augen und seiner Hoffnung nicht, die sofort in ihm aufkeimen: Sollten das die Retter sein, von denen er schon so oft hinter vorgehaltener Hand gehört hatte? Die, die die Jungen aus ihrer Gefangenschaft befreien und ein besseres, neues Leben ermöglichen würden? Wie oft hatte er dafür gebetet und wie oft schon war er nicht erhört worden? Das Motorboot kommt näher. Immer näher. Und damit auch die Aussicht auf Rettung. Nun ist er sich sicher. Ja, sie sind es: die Befreiungs-Crew von IJM. Er spürt, wie sich eine ungewohnte, neue Kraft stumm in ihm aufbäumt: „Hier, hier sind wir! Kommt und rettet uns!“ Und was tut IJM? Sie kommen, sie befreien und sie halten ihn. So lange, bis er sich erholt und wiedergefunden hat. Und bis er ein Leben führen kann, das eine neue Überschrift trägt: Frei!

So wie diese Geschichte klingen wohl unzählige, die IJM (International Justice Mission) schreibt. Es sind vereinzelte Geschichten, die sich mutig denen entgegenstellen, deren Ende weiterhin ungewiss ist. Doch IJM gibt die Hoffnung nicht auf. Denn mit jeder einzelnen neu geschriebenen Geschichte wächst die Gewissheit: Der Weg der Hoffnung entsteht im Gehen.

Auch wir finden uns häufig in Situationen wieder, in denen wir keinen Ausweg zu erkennen scheinen. Und jeder von uns reagiert unterschiedlich darauf. Manch einer tritt den Rückzug an. Manch einer bleibt stehen. Manch einer legt eine Pause ein oder hält einfach nur durch. Andere wiederum fragen nach dem Weg oder rennen in ihrer Panik so weit voraus, dass sie schmerzhaft Bekanntschaft mit einem Hindernis machen. Manch einer verschließt die Augen oder wälzt akribisch die Landkarte oder, oder, oder. So einzigartig wir Menschen sind, so einzigartig ist auch unser Umgang mit unserem Lebensweg, wenn er sich uns einfach nicht zeigen möchte.

Was für ein Geschenk ist es doch, dass wir uns dann immer wieder in Erinnerung rufen dürfen, dass wir einen Hirten haben. Einen Hirten, der bei uns ist und der unsere Schritte lenkt und führt. Sein Stecken sorgt dafür, unsere Feinde abzuwehren. Und Sein Stab dafür, uns den Weg Stück für Stück zu zeigen. Seiner Leitung dürfen wir uns anvertrauen und dabei immer mehr lernen: Der Weg entfaltet sich in der Beziehung zu dem, der sich selbst „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ nennt (Joh. 4;16). Der Weg ist eine Person. Der Weg ist der Hirte selbst. Und Er trägt dafür Sorge, dass wir ans Ziel kommen. Wir dürfen darin ruhen, dass wir Sein geliebtes Schaf sind. Ob im finsteren Tal oder auf der grünen Weide. Wir sind! Geliebt, geleitet, getragen, gehört und gesehen. Je tiefer wir diese Wahrheit verstehen und je mehr wir diese Wahrheit erleben, desto tiefer verankert sich diese Liebe in uns, die wir dann auch weitergeben dürfen. Um damit selbst zu einem Wegweiser zu werden, der auf den Weg und das Licht in Person verweist.

Vielleicht fühlen Sie sich heute ähnlich hoffnungslos wie der kleine Junge in Ghana in diesem Fischerboot. Vielleicht aber auch wie IJM, die sich oft ohnmächtig dem Leid so vieler Menschen gegenübergestellt sehen und in kleinen, stetigen Schritten etwas dagegen zu tun versuchen. Vielleicht fühlt sich Ihr Weg, Ihre Sackgasse, Ihr Umweg oder Ihre Weggabelung aber auch ganz anders an. Doch egal, wie er sich Ihnen gerade zeigt: Wir beten dafür, dass Ihr persönlicher Hirte, Ihr Weg in Person sich Ihnen zeigt und Sie darin ruhen lässt, dass Er da ist, Sie trägt und Sie schlussendlich ans Ziel bringen wird, während Sie Ihm folgen.